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Gedenken an den Irrsinn

Ich sitze am Rechner, freue mich über meine Homepage, mit der ich so lange schwanger gegangen war und die heute online gehen soll, endlich.

 

Doch dann kommt die Nachricht rein. Günter, mit dem ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder so intensiv an der Seite gearbeitet habe, ruft an und meint "ruf mal die Süddeutsche auf..."

 

Ja, schlimm, aber jetzt geht's doch um die verdammte Homepage, es gibt doch dauernd irgendwelche schlimmen Nachrichten. Es braucht eine Weile, bis die Nachrichten aus Halle ganz in meine Wahrnehmung sickern...

...und dann … ist es kaum auszuhalten. Diese Dimension. 80 Menschen feiern ein fröhliches Fest. Der letzte Tag von Jom Kippur, der Höhepunkt von zehn Fasten-Tagen der Reue und Umkehr! 80 Menschen haben überlebt, weil die Tür der Synagoge standhielt! Schüsse im Türrahmen das Bild am nächsten Tag. Der Täter hat versucht die Türe aufzuschießen.

In was für einem Land leben wir, in dem der Hass schon wieder so viel Fahrt aufgenommen hat. In dem die Biedermänner anonym vorm Bildschirm ihren Hass pflegen und die Brandstifter in ihren kranken Phantasien beflügeln.

Also schwinge ich mich auf mein Rad, eine kleine Laterne mit Teelicht eingepackt, und fahre durch den Regen zum Synagogenbrunnen in Freiburg. Dem Platz an dem vor ein paar Wochen Zehntausende für einen Ruck im Kampf gegen den Klimawandel geschrien, getanzt, marschiert und gesungen haben. Ich war allein und hab gefroren im Regen. Die Kippa, die mir Terry Swartzberg vor einigen Monaten schenkte, auf dem Kopf. Nach einer Weile kam Nenad dazu. Er kommt aus Serbien und fährt in ein paar Tagen nach Israel. Wir unterhalten uns über Flüchtlingsströme, Israel, Visegrad Staaten ... bis eine weitere Gestalt nicht wie alle anderen vorbei huscht, sondern zu uns kommt. Es ist Uta "Ich stell mich dann auch mal zu Euch…mein Mann ist Jude…" sagt sie und bricht in Tränen aus. Wir stehen eine Weile, unterhalten uns. Zum Abschied gehen unsere Gedanken noch einmal an die beiden Opfer des Täters in Halle. Und ihre Hinterbliebenen.

Schade. Ich wollte mit einem fröhlichen Blogeintrag beginnen. Aber das geht heute nicht.

 

Zum Thema ein Interview mit Terry Swartzberg hier (ab Minute 16)


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Kommentare: 1
  • #1

    Terry Swartzberg (Dienstag, 15 Oktober 2019 15:30)

    Ich habe es satt!

    @8 bis 12 Millionen Antisemiten in Deutschland: Ich habe euch satt! Ich finde es obszön und unerträglich, dass es eine einzige oder einen einzigen von euch nach dem Holocaust gibt. Wollt ihr allen Ernstes, dass Deutschland als „Immer Wieder“ Land gesehen wird? Hört sofort damit auf – und BTW auch mit eurem Hass auf Muslime, Sinti und Roma und andere Minderheiten. Habt ihr nicht gelernt, wohin euer Hass führt? Kleiner Erinnerungshinweis: ausgebombte Städte, Generationen, die zum Schweigen über ihre Untaten verdammt waren. Ein weltweiter Ruf als Land der Mörder.

    Wollt ihr – durch euer schmieriges Getuschel über die Juden in Gesellschaftsveranstaltungen, eure Schmierereien auf Stolpersteinen und Grabsteinen, eure Hasspredigten in Social Media - allen Ernstes ein judenfreies Land? Ihr seid auf dem besten Weg dazu.

    Kein Antisemitismus in Deutschland! Jetzt! Sofort!

    Und während ich dabei bin: Schüler*innen, die jüdische Kinder beschimpfen, die Jude als Schimpfwort benutzen: Hört sofort damit auf! Ihr werdet euch den Rest eures Lebens dafür schämen. Jungsein erklärt vieles – aber entschuldigt nicht alles. Ihr seid auf dem besten Weg, Juden aus Schulen zu vertreiben.

    Kein Antisemitismus in Deutschland! Jetzt! Sofort!

    @Medien im Deutschland: Ich habe euch und eure Berichterstattung satt! Ich finde eure Verkennung der Tatsachen tendenziös und Trump-würdig. Hier ist die Wahrheit über die ihr nie berichtet: Wir haben in Deutschland nach 1945 blühendes jüdisches Leben aufgebaut – mit 165 Gemeinden, mit ca. 300.000 Juden, mit Millionen von Menschen, die sich für das jüdische Leben und die jüdische Kultur interessieren.
    Habt ihr nicht gesehen, wie unsere wunderbare Zivilgesellschaft sich jetzt stark macht für uns Juden?
    Mit eurer einseitigen Berichterstattung – immer über Antisemitismus, nie über die Errungenschaften unserer Gesellschaft - seid ihr auf dem besten Weg, Juden aus dem Land zu vertreiben.

    Keine einseitige Berichterstattung und Wahrnehmung über Juden in Deutschland! Jetzt! Sofort!

    Und während ich dabei bin: Politiker, Priester und andere Sonntagsredner: Ich habe euch auch satt! Statt uns Mut zu machen, macht ihr mit euren ewig wiederholten Litaneien vom „immer stärker werdenden Antisemitismus“ usw. Angst. Seht ihr nicht, wo eure Panikmacherei hinführt? Ihr seid auf dem besten Weg, Juden aus Deutschland zu vertreiben.

    Keine einseitige Berichterstattung und Wahrnehmung über Juden und jüdisches Leben in Deutschland! Jetzt! Sofort!

    @die Juden im Deutschland. Auch ich spüre eure Angst, eure sehr berechtigten Fragen: Basiert alles, was wir seit 1945 mühsam aufgebaut haben, auf einer Selbsttäuschung? Sind wir doch nicht mehr als nur noch ein Kapitel in unserer ewigen Geschichte von Pogromen, Vertreibungen und Wiederkehr nach Deutschland?

    Dazu: Ich habe es satt, auf Schutz und Lösungen von unseren – sehr vielen – Freunden zu warten. Sie müssen wir selbst liefern. Die Zeit ist gekommen, unsere gemeinsame Stärke und unseren gemeinsamen Wille immer wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen. Deswegen setzte ich vor 7 Jahren eine Kippa auf meinen Glatzkopf. Deswegen höre ich jetzt nicht damit auf – trotz Angst und Zweifel.
    Nur Mut – unser eigener Mut - kann uns helfen.

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